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SonnenCityProjekt Pfaffenhofen a.d. Ilm – Kapitel 14 – “Das klassische Dilemma”

 


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Wie im Kapitel 7 angekündigt möchten wir etwas ausführlicher auf die widersprüchlichen Entscheidungsgrundlagen eingehen. Aus unserer Erfahrung führen diese an etlichen Stellen in Europa dazu, dass kommunale Verantwortliche gezwungen sind, sich gegen die Zukunft unserer Kinder zu entscheiden, bzw. Nachhaltigkeits- und Klimaziele zu vernachlässigen. Dies, obwohl diese „SDG-Ziele“ (siehe Kapitel 4: „Die SDG´s: Weltzukunftsvertrag der Vereinten Nationen) feierlich – wie in Pfaffenhofen lobenswerter Weise vorbildlich geschehen – von den politisch Verantwortlichen der Stadt unterschrieben wurden.

Wir sehen einen notwendigen Paradigmenwechsel bei kommunalen Gestaltungsdogmen – im Sinne der Nachhaltigkeit:

In einer vom Stadtrat der Kommune Pfaffenhofen im Juli 2017 unterschriebenen Nachhaltigkeitserklärung steht u.a. wörtlich unter Punkt 5: Zitat: „Der Stadtrat und seine Ausschüsse orientieren sich bei künftigen Entscheidungen an den 17 Nachhaltigkeitszielen. Der Stadtrat berücksichtigt bei Entscheidungen, ob damit ein Beitrag zu einem oder mehreren der 17 Ziele erfolgt. Im Zweifelsfall findet eine bewusste Abwägung statt.“ Zitatende.

Wir sehen die Wichtigkeit dieses klassischen Dilemma-Themas, welches nicht nur solch fortschrittliche Kommunen wie Pfaffenhofen trifft: Denn nur zu oft stehen vermeintliche Gestaltungsregeln als unverrückbares Dogma gegen eine wirklich nachhaltige Entwicklung. Da in der Regel bislang stets das selten hinterfragte Gestaltungsdogma siegt, statt die für unsere Kinder elementar wichtigen Nachhaltigkeitsziele, formulieren wir dies als „Dilemma“.

Die kommunale Gestaltungshoheit muss ein elementarer Bestandteil jeder nachhaltigen klimagerechten Umwelt in einer Kommune bleiben. Ein Verzicht auf diese kommunale Gestaltungshoheit kommt einem Verzicht auf Nachhaltigkeit gleich!

Aus gegebenen Anlass betonen wir, dass weder die kommunale Gestaltungshoheit, noch deren Notwendigkeit an sich in Frage gestellt werden dürfen: Wir erleben in unserer Praxis recht oft, dass Kommunalverantwortliche bei Liegenschaften ohne vorhandenen Bebauungsplan gerne auf ihre Gestaltungshoheit bewusst verzichten und statt dessen den Bundesweit geltenden §34 BauGB in Anspruch nehmen.

Hierbei wird recht “individuell auslegbar” (viele Kollegen und Bauherren sagen “willkürlich”) geregelt, dass ausschließlich die vorhandene und bestehende Gebäudestruktur Maßstab für eine zukünftigen Planung ist. Wir sehen hierbei keine Wahrnehmung der kommunalen Gestaltungshoheit, sondern einen klaren Verzicht darauf: Seit wann wird denn “gestaltet” wenn alles bleibt wie es ist? Dies gilt insbesondere dann, wenn vorab kommunale Vertreter einer Stadt diesen zu gestaltenden Ort wegen seiner Nichtgestalt als “Nichtort” bezeichnet… siehe auch unser Kapitel 6 (der Nicht-Ort).

Dieser Verzicht auf kommunale Gestaltungshoheit wirkt sich besonders negativ auf nachhaltige und ganzheitliche Projektentwicklungen aus, wenn sie auf neue Baustrukturen an den jeweiligen Orten angewiesen sind.

Wir sehen, dass sich im Laufe unserer Wohlstandsjahre viele – aus unserer Sicht unzeitgemäße und dekadente Regeln – „selbstständig“ entwickelt haben, ohne jemals auf Sinn und Inhalt hinterfragt zu werden.

An anderen Orten konnten wir nachweisen, dass erst durch eine massive Überschreitung des Maßes der vorher fixierten Nutzung dieser Ort zum positiven, erlebnisreichen und attraktiven Ort wird. Die kommunalen Ängste in Bezug auf ein zu hohes Maß der Nutzung halten wir oft für berechtigt. Dies sollte sich jedoch nicht zum Dogma verselbstständigen:

Oft wird ein hohes Maß der Nutzung zurecht für Menschen als bedrohlich empfunden. Hierfür lässt sich auch schnell die Ursache finden: Eine entsprechende investorenorientierte Architektur, mit der Aufgabe, eine möglichst kurzfristige maximale Kapitalrendite zu erzielen. Ein deutlich höheres Maß der Nutzung kann jedoch auch statt Bedrohlichkeit, eine Behaglichkeit durch menschliche Nähe und differenzierte Abgrenzung bewirken. Es ist aus unserer Sicht nur eine Frage der entsprechenden Aufgabenstellung zur Architektur, da allein die zahlenmäßige Erfassung keinesfalls zum Maß der Nutzung für eine Bewertung verwendet werden sollte.

Bei entsprechender Architekturprägung sehen wir ein gut organisiertes und hohes Maß der Nutzung als wichtigen Beitrag zur Verfolgung von Nachhaltigkeits- und Klimazielen an. Zu diesem Thema, bei dem wir nachweisen können, dass die Hälfte unseres Energieverbrauches einem verklärten Städtebau zu verdanken ist, haben wir diverse Vorträge gehalten. Hier zwei Folien als Ausschnitt aus einem dieser Vorträge: Eine Folie zum Energieflußbild in Deutschland und eine weitere zu den energetischen Potenzialen im Städtebau.

Energieflussbild Deutschland und energetische Potentiale im Städtebau

Da für Kommunen genehmigungstechnisch das Maß der Nutzung juristisch und rechnerisch das einfachste erfassbare Instrument darstellt, wird dies nur zu oft, wider besseren Wissens und Willens, zum wichtigsten Instrument bei Baugenehmigungen. Aus unserer Sicht verstößt dies meistens gegen die nachhaltigen Interessen einer Kommune und umschreibt ebenso das o.g. Dilemma. Dies gilt für viele Orte ganz allgemein und auch für diesen Ort hier ganz speziell: Aufgestellte Regeln können zu „selten hinterfragten Gestaltungsdogmen“ werden: Aus diesem Anlass erlauben wir uns eventuelle Dogmen in Bezug auf die Dorfmitte in Niederscheyern beispielhaft zu hinterfragen:

1. Eine zahlenmäßigen Beschränkung zum Maß der Nutzung halten wir als Hauptkriterium einer Baugenehmigung im Sinne der Nachhaltigkeits- und Klimaziele für kontraproduktiv. Wir sehen die Notwendigkeit, dass sich stattdessen jede Planung den komplexen lokalen Rahmenbedingungen in Verbindung mit globalen Zielen und Aufgaben zu stellen hat. Diese sind in Bezug auf dieses Grundstück in diesem Fall z.B.:

  • Wird durch unsere Planung für jeden einzelnen, jetzt vorhandenen und zukünftigen Bewohner die Situation nach Realisierung „gleichwertig bleiben oder besser?
  • Besteht ein adäquates Mobilitätskonzept, das sich auf ein eventuelles verkehrliches Mehraufkommen als verkehrsverträglich oder verkehrsunterstützend auswirken wird?
  • Erhält dieser Ort einen positiven Charakter durch diese neue Bebauung oder wird eventuell dieser zerstört, statt unterstützt (wenn vorhanden)?
  • Verfolgt das Projekt auch die Nachhaltigkeits- und Klimaziele (SDG´s)?
  • Hat dieses Projekt das Potenzial positives Vorbild für weitere Projekte zu sein, um diese Vorgehensweise im Sinne der Nachhaltigkeits- und Klimaziele zu sein, damit entsprechende Nachahmereffekte entstehen können?
  • Wirkt sich eine Realisierung demokratiestärkend aus, wenn durch dieses Projekt mehr Menschen für die eigene Energieversorgung in Verantwortung gebracht werden?
  • Wird das ortsverträglich Maß der Nutzung störend in Höhe, Länge oder Breite wahrnehmbar überschritten?
  • Werden ortsübliche Hofstrukturen geschaffen?
  • Ist das geplante Projekt in der Lage die Herausforderungen unserer demografischen Entwicklung zu regeln?
  • etc…?

 

2. Eine Fixierung der Ausrichtung eines Daches, deren Form oder deren Dachhaut.

Zweifelsfrei kann eine Regel hierzu für ein Quartier aufwertend sein, jedoch dürften Regeln nicht wider nachhaltige Potentiale aufgestellt werden, solange nicht belegbare nachbarliche oder Gesamtquartiersinteressen dem entgegenstehen, bzw. die vorhandene oder ehemalige Bebauung sowieso schon eine gewisse Vielfalt präsentiert. Hier ein von uns beschriftetes Foto mit der Kirche zur Situation vor Ort zu den Themen:

  1. Maß der Nutzung,
  2. Dachformen und
  3. der richtigen kommunalen Feststellung eines Nicht-Ortes der Dorfmitte mit Dorflinde an der Dorfkirche…

Kirche, Linde und Nachbarbebauung

3. Aufgestellte Schutzregeln in der Nähe von Kirchen und Friedhöfen sind mit betroffenen Institutionen auf Sinn und Inhalt zu hinterfragen und gemeinsam abzustimmen.

4. Kommunal wahrgenommene Defizite eines Ortes sollten durch eine zukünftige Bebauung gemeinsam mit den Planern reduziert oder behoben werden. Insbesondere, wenn ein Bauherr seine Bereitschaft zeigt, diese Defizite gemeinsam mit der Kommune zu beheben, sollte eine Kommune dies stützen.

Wir unterstützen stets gerne sinnvolle werterhaltende und wertsteigernde Gestaltungsregeln. Jedoch haben wir Zweifel an der Wahrhaftigkeit der Argumentation dieser speziellen und konkreten Regeln, wie sie uns hier für diesen Ort auferlegt wurden.

Trotz alledem versuchen wir – innerhalb der uns auferlegten Regeln – mit der Kommune einen gemeinsamen Weg zu finden. Hierzu glichen wir in einer parallelen Zweitplanung die formulierten Gestaltungswünsche mit unseren Rahmenbedingungen (siehe Kapitel 7) – sowie der SDG-Ziele – ab, um daraus Kompromissvorschläge als Gesprächsgrundlage zu erarbeiten.

Unsere Aufgabe sehen wir auch darin, die Stadt von den konkreten Vorteilen unserer rekursiven Vorgehensweise zu Gunsten all dieser sich widersprechenden Zielperspektiven zu überzeugen. Denn wir sind der Auffassung, dass es für viele andere Orte mit vergleichbaren Dilemma an qualifizierten und ausprobierten Lösungsinstrumenten fehlt, welche wir hier einer Kommune anbieten, die u.a. den Nachhaltigkeitspreis 2011 als Lebenswerteste Stadt der Welt (LivCom-Award 2011) gewonnen hat http://www.pfaffenhofen.de/lebenswert/

Gesamtübersicht über alle Kapitel der
OnlineDoku SonnenCityProjekt Pfaffenhofen.

 

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